Japanische Landschaftsgärten und die Zen-Tradition – Hintergrund der Planung im ToGenJi

Jürgen Windhorn  Januar 2019 

Gärten

Was machen wir Menschen, wenn wir die kleine Eiszeit, Hungersnöte, den Dreißigjährigen Krieg und die anderen Glaubenskriege überlebt haben? Wir legen Gärten an. Bauerngärten, Obstbaumwiesen, herrschaftliche Gärten und botanische Gärten. Wir terrassieren Weingärten und bauen Gewächshäuser.

Gärten also … – die zweite Schöpfungsgeschichte der Genesis spielt in einem Garten. Buddha predigte und lebte in den herrschaftlichen Gärten und Wildparks die ihm und seiner Sangha von den Mäzenen und Sponsoren seiner Zeit zur Verfügung gestellt wurden. Die Philosophen Athens unterrichteten ihre Schüler beim Lustwandeln in einem Hain darüber, sich selber zu fragen, was sie mit ihren Fragen eigentlich meinten. Dieser Hain war von den Athenern dem Gott Akademos gewidmet. Seit dem sprechen wir von Akademikern. Akademiker gehören also in den Wald … – wenn sie denn ihrer klassischen griechischen Tradition folgen würden.

Der Garten und der Hain gilt uns als Ort des spezifisch Menschlichen, ja sogar als Ursprungsort des Menschen schlechthin, als Ort der Besinnung und der Erleuchtung und des freien geistigen Austausches. Und, ja, auch das ist richtig, die herrschaftlichen Gärten der klassischen Zeit wurden von Aristokraten und Großgrundbesitzern angelegt. Diese verfügten in ihrer Zeit über die dafür nötigen Mittel und zwar deshalb, weil sie die Macht hatten, diese gewaltsam zu akquirieren. Dass diese Herrschaften mit ihrem flächenintensiven Hobby aber offenbar ein ganz allgemein menschliches Bedürfnis ausdrückten, wird nicht nur am heute umsatzstarken Gartentourismus deutlich, sondern auch an den vielen kleinen und großen Privatgärten, die so fleißig die klassischen Landschaftsgärten im verkleinerten Maßstab imitieren. Der Garten gilt uns also sowohl als Ursprungsort als auch als Sehnsuchtsziel und das Häuschen im Grünen mit eigenem Garten war und ist immer noch das allgemeinmenschliche Standard-Lebensziel per se.

Dank ihrer Nutzung als einträglicher Touristenattraktionen gut gepflegt, zeigen sich heute noch viele der alten europäischen Gärten mit ihren geometrischen Grundstrukturen als der großflächiger Ausdruck des Bedürfnisses der Menschen ihrer Zeit und Kultur, die eigene Umgebung zu kontrollieren und zu beherrschen. Herrschaft und Kontrolle über die unmittelbare eigene Welt, besonders auch die organische, zeigen sich in der manifestierten Lust am Planieren, am Aufteilen, am Ordnen und Beschneiden und an der Berechenbarkeit und ganz allgemein daran, die Dinge, auch diejenigen, die selber zum eigenständigen Wachstum neigen, im Griff zu behalten und sich dann angesichts der eigenen erlangten Herrschaft über Haus und Garten zu beruhigen. Dann kann mensch sich der Idee hingeben, Herr und Herrin im eigenen Hause und im eigenen Garten zu sein. In den großen herrschaftlichen Gärten finden wir Dokumente des Traums der Souveränität in einer Welt, die man zwar nicht hergestellt hat, in der man aber die Kontrolle übernehmen und die man immer mehr in den Griff bekommen möchte. Der geplante, konstruierte und hergestellte Garten etablierte sich damit als Schutz- und Pufferzone zwischen den Menschen und derjenigen «wilden» Natur, aus der diese Menschen ursprünglich hervorgegangen waren. Eine Schutzzone in Form einer von den Gärtnern der Landschaft und den Pflanzen aufgezwungenen Geometrie und Maßhaltigkeit. Eine Geometrie wiederum, deren Wesen und deren Gesetze wir als Ausdruck des mathematischen Unter- oder Überbaus der Welt (im platonischen Sinne) auch nicht wirklich verstehen, aber mittels der wir dennoch den Versuch unternehmen, zwischen uns und die unbeherrschbare, chaotisch erscheinende Natur, aus der wir gleichwohl alle hervorgegangen sind, diese beherrschbare Pufferzone zu setzen.

Die herrschaftlichen, geometrisch angelegten Gärten lassen sich damit als ein Versuch deuten, uns mit dem, was wir nicht wirklich verstehen, vor dem zu schützen, das wir nicht beherrschen, aus dem wir aber hervorgegangen sind.

Herrschaftliche Gärten 

Die ersten großen alten «Parks» im Zweistromland und im jetzigen Nordindien, Spielwiesen der Mächtigen. oft einfach nur entsprechend große Waldgebiete mit einer Einhegung, dienten dem herrschaftlichen Zeitvertreib, also der Jagd, den Parties und den üblichen Vergnügungen derjenigen, die sich so etwas leisten konnten und dann aber auch den damals aufgrund der ungewöhnlich hohen Teilnehmerzahl anders kaum noch unterzubringenden Versammlungen der Anhänger des Buddha. 

Den von einem fürstlich-menschlichen Gärtner sorgfältigst designten und gepflegten Schmuck- und Lustgarten kennen wir dann spätesten aus der Genesis, wo der Gärtner allerdings noch der göttliche Vorläufer aller Gartenarchitekten war.

Und persische Gärten – das altpersische Wort dafür, ‘Paradaidha’, kennen wir alle in der griechischen Fassung aus  der Genesis – waren dann schon in antiker Zeit Legende.

Im klassischen China der Tang Dynastie wurden auch gerne Gärten angelegt, die den kaiserlichen Beamten und Gouverneuren auf überschaubarem Raum vor Augen führten, wie ihr Zuständigkeitsbereich eigentlichaussah. Die Territorien, über die chinesische Beamte geboten, waren groß, oft schwer überschaubar und nur mühsam zu bereisen. Ein maßstabsgerecht verkleinerter Landschaftsgarten, vielleicht in Hektargröße, der das entsprechende Gebiet überschaubar abbildete, quasi ein Google-Earth in Gartenform, war da praktisch.

Wang Yuanqi (1642-1715): Wangchuan Villa und Garten

Natürlich sollten diese chinesischen Google-Earth Gärten die wirkliche Landschaft möglichst korrekt abbilden, d.h. es war zwar das Handwerk des Gartenbauers gefragt, aber das Gesamtbild orientierte sich in solchen Fällen an einer tatsächlichen und höchst realen Landschaft.

Anders die deutlich kleineren Gartenkunstwerke der Literaten und Kunstkenner, der gebildeten Beamten in ihren Privatgärten. Hier ging es darum, das Kunstverständnis des Hausherrn auf den Punkt zu bringen.

«Kunst» konnte im klassischen China aber vor allem auch bedeuten, die besonders in der taoistischen Tradition gefeierte sogenannte «Ursprüngliche Natur» in einer Miniaturlandschaft zum Ausdruck zu bringen.

Mit einem Hausgarten in unserem Sinne hatten diese repräsentativen Anlagen aber natürlich nicht das Geringste zu tun.  Bei uns kennen wir einen gepflegten Garten – unabhängig von einer regelrechten Landwirtschaft und Gemüsebau – zunächst aus der Tradition der Klostergärten. Schon der Ordensgründer Benedikt (480- 547) sah in seinen Klosterregeln ausdrücklich einen Garten vor, zunächst noch ganz praktisch zur Selbstversorgung.

Der private Haus- und Nutzgarten als einfache Notwendigkeit für die gewöhnlichen Leute tauchte dann als «akademische» Idee wieder in der Utopie vom Gärtnerhof auf. Max Karl Schwarz (1895–1963) und Friedrich Schaub (1910-2002) entwickelten dieses Konzept einer Teilselbstversorgung und lieferten auch wesentliche Impulse für die frühe Ökologiebewegung. Neuerdings wieder aktuell, wird dieses Konzept einer Art von Teilzeitgartenbau-Kultur heute zum Beispiel auch von Ralf Otterphl als “Neues Dorf” in erweiterter Form reanimiert. Diese Utopie eines Lebens, das sich in akademische Arbeit, «prosumentische» Teilhabe an einer Postwachstums-Gesellschaft und eben Gartenbau als Subsistenz aufteilt, wird von einigen wenige Menschen tatsächlich vorgelebt. Der Ethnobotaniker und Autor Wolf-Dieter Storl zum Beispiel bewirtschaftet einen großen Gemüsegarten, tauscht Überschüsse daraus mit benachbarten Bauern und Jägern, schreibt fast jeden Winter ein Buch und wird gern als Redner bei Veranstaltungen wie ‘Bioneers’ eingeladen. Auch der Dichter, Zen-Mönch und Umweltaktivist Gary Snyder lebte – und lebt immer noch – in seiner Hütte in den kalifornischen Bergen, zwar nicht mit Gemüsegarten, aber mit Waldwirtschaft, und arbeitete bis vor kurzem gleichzeitig in Teilzeit als Dozent an der Uni.

Aber nicht jeder, der im Garten oder im Wald ein Buch schreibt, bekommt gleich den Pulitzer-Preis wie Gary Snyder oder kann sich mit relativ exotischen Themen an das große Publikum wenden, wie Wolf-Dieter Storl. Und beide sind keine Ökoheiligen, sowohl Wolf-Dieter Storl als auch Gary Snyder fahren selbstverständlich ein Auto und auch der Flieger ist nicht tabu. Und ein Ralf Otterpohl hat seine unkündbare und gut bezahlte Professorenstelle, ein Privileg, dass heute, wie er selber sagt, eine Rarität darstellt. Die Idee, dass man die Lebensform solcher menschlicher Solitäre, wie Storl, Snyder oder Otterpohl verallgemeinern und als erstrebenswertes Muster für die breite Bevölkerung darstellen könnte, lässt sich wohl nur als Ausdruck einer gesegneten Wirklichkeitsferne verstehen. Und der Gärtnerhof von Max Karl Schwartz und das erweiterte Modell des “Neuen Dorfes” von Ralf Otterpohl braucht natürliche auch noch ein funktionierendes Konzept der Mobilität und der Energiewirtschaft, das – wenn man davon ausgeht, gar keine fossilen Energieträger benutzen zu wollen – noch bei weitem nicht zu Ende gedacht ist … – um es vorsichtig auszudrücken.